#5 DER TOWNSVILLE BLUES (DE)
- carolinmichalk
- Feb 2, 2024
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18. Oktober 2022. Der grosse Tag ist gekommen: Meine Eltern bringen mich zum Flughafen. Als wir vor Muenchen im Stau stehen wird mir schlecht vor Sorge. Ein paar Traenen verdruecke ich schon vor dem Verabschieden bereits im Auto, vor absoluter Panik den Flug zu verpassen. Mit zum Glueck genug Zeit bis zum Boarding sagen wir dann "Auf Wiedersehen", ich freue mich jetzt schon drauf in einigen Monaten wieder voller neuer Lebenserfahrung zurueckzukehren. Doch natuerlich muss ich dafuer erstmal weg.
Die Fluege verlaufen alle ohne Probleme. Ich bin schon seit Jahren baff ueber den Fakt, dass sich jede Person quasi einfach so ein lebensveraendernes Flugticket kaufen kann. Einfach so, online, mit ein paar ausgefuellten Feldern und einer gedeckten Kreditkarte und ohne grossen Aufwand, Kontrollen, einer Vorlaufzeit oder Erlaubnis. Als Kind dachte ich immer, Fluege buchen sei wie ein Auto kaufen: erst eine ewig lange Schlacht durch alle (moeglicherweise dubiosen) Angebote bis man das Passende fuer sich gefunden hat. Dann Preisvergleiche, eine Agentur oder ein Vermittler mit eventueller Wartezeit und unvorstellbar hohe Summen. Ein furchtbar komplizierter Buchungsprozess mit haufenweise Unterschriften auf einem Berg aus Papierkram. Heute weiss ich, dass beide Vorhaben viel einfacher und zuganeglicher sind. Zu meinen Gunsten, andernfalls wuerde ich mich jetzt nicht auf dem Weg zu einem anderen Kontinent und meinem besten Freund, den ich 7 Jahre nicht gesehen hatte, befinden...
Nach ueber 24 Stunden Reise und 3 Fluegen treffe ich ihn am Flughafen, fuer mich voellig unerwartet bevor ich ueberhaupt bei der Gepaeckausgabe ankomme. Der Flughafen ist super klein, die Freude gross. Nach Jahren stehen wir das erste Mal wieder voreinander, mit Plaenen fuer die naechsten Wochen und Vorfreude auf die gemeinsame Zeit.
Direkt darauf lerne ich seine Partnerin und deren beiden Mitbewohnerinnen (inklusive zweier Kleinkinder) kennen. Die Sechs wohnen zusammen im Haus der Eltern der Freundin meines Kumpels. Das Gaestezimmer ist frei und ich bin unglaublich dankbar darueber, mich dort einquartieren zu duerfen. Das Haus und vorallem die Kueche ist riesig, mein Zimmer schlicht, der Umgang miteinander locker - alles ist recht entspannt was vielleicht an der eigenbroetlerischen Lebensweise von mir beziehungsweise mir gegenueber liegt. Waehrend ich mich einlebe etabliert sich langsam ein Alltag: Ich koche viel, chill am Pool im Garten, mache Yoga und versuche herauszufinden, was ich wann wo tun will. Zwar alles mehr oder weniger Dinge, die ich auch zuhause haette tun koennen, aber immerhin bringe ich so den Tag rum, waehrend ich allein daheim bin... Nach und nach sammle ich ein paar Ideen was Ausflugsziele in der Umgebung angeht, die meisten jedoch kommen aus der Feder der Australier. Das einzige richtige Vorhaben, das sich in mir manifestiert hat, ist der Tauchkurs, den ich auf der Insel nur 20 Minuten vom Festland machen moechte.

Castle Hill, Townsville
Gerade in den ersten Wochen unternehmen er, sie und ich ultra viel zusammen: Wir erkunden einen Wasserfall und dessen Umgebung, die mich mit ihrer atemberaubenden Natur ueberwaeltigt. Nach 15 Minuten rumklettern kommen wir am hoechstgelegenden Stueck an. Wir sind alleine, baden dort im kalten Wasser, das auf dem Weg nach unten zwischen den riesigen Felsbrocken abwechselnd Naturpools und Wasserfaelle bildet. Ich treibe an der Oberflaeche, das Wasser das meinen Kopf umgibt blendet fast alle Geraeusche aus. Ueber mir sehe ich die Sonne und Baeume im sattesten Gruen, wie ich es noch nie gesehen habe. Es fuehlt sich an wie ein Wunderland der Natur, geschaffen nur um mit der Schoenheit der Erde anzugeben.

Crystal Creek, Townsville
Ueberall lassen sich viele tolle Fotos schiessen und bereue nach einigen Wochen, dass ich meinen Laptop nicht mitgenommen habe (ein riesen Fehler). Sogar ein Halloween-Shooting machen ich mit dem Paerchen.


Einmal die Woche gehen wir zusammen in einen Kurs, der von einem lokalen Zirkus angeboten wird: Akrobatik, Jonglieren und Balancieren auf Stuehlen oder Saltos werden geuebt, einmal bauen wir eine Menschenpyramide oder stehen uns gegenseitig auf den Schultern. Ein schoenes gemeinschaftliches Hobby, das an Grundschul-Sportunterricht auf Steroide erinnert.

Meine Gastgeberin bei einer ihrer Leidenschaften
Ab und zu sitzen mein Homie und ich am Strand und reden ueber alles und nichts, wie immer. Endlich face-to-face, doch mit der selben Verbundenheit wie bei den unzaehligen Telefonaten ueber den Ozean. Life is good. Nachdem ich die Geschichte von meinem aller erstes Tattoo erzaehle, dass ich vor ein paar Monaten unter die Haut bekam, ein Wort auf meinem Bein, welches ich nun mit einigen Freunden fuer immer teile, gehen auch wir zwei unserer eigenen Idee nach und lassen uns das gleiche Motiv stechen. Ich habe das Gefuehl, all diese Tage schweissen uns zusammen. Wir holen all die real-life-time nach, die wir in den letzten Jahren nicht gemeinsam verbringen konnten. Waehrenddessen lassen wir uns aber auch genuegend Freiraum und respektieren die Zeit, die man auch mal fuer sich braucht. Ich fuehle mich wohl und versuche auch sicherzustellen, dass auf der anderen Seite auch alles gut ist. Immerhin ermoeglicht mir das Paerchen das Dach ueberm Kopf, den Anschluss in einem fremden, riesigen Land und Rat und Tat bei allem was auf mich einprasselt. Ich bin unglaublich dankbar und hoffe, dass ich das auch vermitteln kann.
Doch an dieser Hoffnung zweifle ich irgendwann...Wir entfernen uns; emotional und auch wieder physisch und ich bin mir nicht sicher, was zuerst eintritt…Er geht auf einen dreiwoechigen Trip, ich zum ersten Mal nach Magnetic Island – und bin wie magentisch angezogen von dem Ort und den Menschen. Wir verbringen, wenn wir beide zuhause sind, sehr wenig Zeit zusammen. Und dann, nach einigen Malen des Hin- und Herpendelns vom Festland zu „Maggie“ Island, bekomme ich die Info, dass ich in 10 Tagen das Zimmer freigeben muss. Der Bruder der Freundin zieht zu seiner Schwester, und da ich nur zu Gast in ihrem Haus bin, ist es natuerlich selbstverstaendlich, dass ich Platz mache. Doch es kommt ein wenig ploetzlich fuer mich. Ich fuehle mich ueberrumpelt und unter Druck gesetzt, da ich nicht erwartet hatte, so schlagartig eine Entscheidung ueber die naechste Station meiner Reise zu treffen. Natuerlich wuerde der Tag meines Auszugs irgendwann kommen, aber dass es so abrupt mit nicht einmal 2 Wochen Vorlaufzeit passiert, haette ich nicht gedacht. Ich fuehle mich etwas abgeschoben und haengen gelassen, denn ich bin mir recht sicher, dass diese Umstaende sich nicht erst in der letzten Woche auftaten.
Ich muss also die Entscheidung treffen, wohin es gehen soll. Zwei realistische Moeglichkeiten bieten sich mir, und ich schwanke einige Tage zwischen ihnen:
Ein neu gewonnener Freund aus dem australischen Freundeskreis bietet an, mich mit dem Auto auf seiner Fahrt in die Heimat mitzunehmen. Ich werde auch gleich zu Weihnachten eingeladen, was mich ruehrt. Es wird das erste Heiligabend ohne meine Familie fuer mich und die Aussicht auf ein Gefuehl von Gemeinschaft ist schoen, auch wenn es irgendwie komisch ist, da ich ja niemanden sonst aus der Famile kenne. Egal wie ich mich entscheiden werde, er wird so oder so die 1361 Kilometer fahren und ist super lieb und hilfsbereit, wenn es darum geht mich in seine Planung einzuweihen. Ich fuehle mich nicht genoetigt mitzukommen, aber auch nicht so, als waere es zu viel fuer ihn mich dabeizuhaben. Die Moeglichkeiten, die Brisbane bereithaelt, sind endlos. Eine monstroese Stadt, ein internationaler Flughafen, neue Menschen. Eigentlich ein guter Ort um sich neu auszurichten.
Auf der anderen Seite steht Magnetic Island und der Mann, in den ich mich schon beim ersten Besuch auf der Insel verguckt hatte. Wir sprechen ueber meine Situation und die Idee eines kleinen gemeinsamen Roadtrips kommt auf. Er will sowieso ein bisschen Urlaub machen und ich, tja, ich habe ohnehin Zeit und ab jetzt keinen festen Wohnsitz mehr. Wir kennen uns ein paar Wochen und wollen beide mehr Zeit zusammen verbringen, haben uns defacto aber erst ein paar Tage gesehen und kennengelernt. Zwischendrin war ich ja wieder auf dem Festland, doch meine Besuche waren jedes Mal traumhaft schoen. Jede Verabschiedung hinterliess Ungewissheit ueber das naechste Wiedersehen. Wann, Wo...und ob ueberhaupt? Ist es also klug, nun direkt einen Urlaub zusammen zu planen? Einen Roadtrip, in dem ich im Fall der Faelle dann alleine irgendwo strande, falls es auf laengere Sicht zwischen uns doch nicht passen sollte. Und was passiert dann ueberhaupt danach?
Das alles gilt es innerhalb von 10 Tagen zu entscheiden. Ich fuehle mich erschlagen und ueberfordert. Am Ende treffe ich zum Glueck die, wie ich im Nachhinein weiss, absolut richtige Entscheidung.






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