#2 GOODBYE KAPITALISMUS
- carolinmichalk
- Dec 14, 2023
- 4 min read

Sommer 2022. Da ist es nun also, das Ende einer Aera. Zumindest der Entschluss dazu. Alles Notwendige in die Wege zu leiten zieht sich Monate hin. Aber irgendwie ist es nicht das anstrengende, kraeftezehrende Hinziehen - Es ist eher ein entspanntes Abarbeiten der zu erledigen Angelgenheiten. Und wenn man es genau betrachtet, ist es auch garnicht so viel:
Ein paar mal aufs Amt, zum Arbeitgeber und Vermieter, ein paar Mails und Klicks im Internet... schon habe ich keinen Job und keinen gemeldeten Wohnsitz in meinem Heimatland mehr. Der Handyvertrag wird zum Abflugdatum aufgeloest, vieles an Moebeln und Klamotten gebe ich an Freunde.
Abgesehen vom Abgeben des Kuendigungsschreibens bei meinem Arbeitgeber und dem letzten Tag in der leeren Wohnung fuehlt sich alles andere entgegen meiner Erwartungen recht unspektakular an. Doch die Auswirkung ist gross: Ungebundenheit. Freiheit. Leichtigkeit...Aufbruchstimmung.
Doch natuerlich verabschiede ich mich nicht nur von den buerokratischen und materiellen Dingen in meinem Leben. In den verbleibenden Wochen daheim mache ich vieles mit interner Ansage zum letzten Mal: Noch ein Mal ins Kino, nur noch ein Arbeitstag. Ein letztes Mal hier im Club und dort zum Essen, eine finale Hausparty in meiner geliebten Bude. Ein letzter Rave, die letzten Besuche bei den Verwandten, noch einmal Treffen mit Freund*innen. Der letzte Umzugskarton. Noch einmal durch die vertrauten Strassen laufen. Noch einmal schlafen.
Aber irgendwie entstehen auch hier oft nicht die angenommenen Gefuehle. Was sich so toll anhoert - die allerletzte Schicht im Buero, verlaeuft bis auf ein paar knappe Verabschiedungen zwischen oder sogar waehrend den Kundengespraechen am Headset wie immer. Das Schlusslicht der Liste an Anrufern ist mein Homie aus Australien, der regelmaesig unsere Hotline-Nummer mit der Hoffnung gewaehlt hatte, mit mir anstatt einer meiner Kolleg*innen verbunden zu werden. Doch in der letzten Stunde war dieses Unterfangen kein Gluecksspiel mehr, denn ich war allein im Buero. Zum Ende der Spaetschicht ist die Nachfrage nach unserer Hilfe meist so gering, dass eine Person mehr als ausreicht. Wir quatschen also ein bisschen waehrend ich vergilbte Post-Its abziehe, veraltete Notizen wegschmeisse und zehn Mal ueberpruefe, ob meine Schubladen auch wirklich alle leer sind. Dann ist es 7 Uhr: mein letzter Feierabend. Wir legen auf, ich atme seufzend aus. Ich packe zusammen, lasse meinen Blick noch einmal ueber die Raumlichkeiten schweifen. Es ist solange still im Stockwerk, bis ich die schwere Glastuer hinter mir ins Schloss fallen lasse. Ich huepfe die Treppen runter, vermutlich mit einem selbstgefaelligem Grinsen im Gesicht. Es war nicht schlecht hier, aber eben auch nicht mein ultimativer Traumjob. Ich bin froh jetzt damit fertig zu sein, nicht unbedingt wegen der Arbeit - es geht um die Verpflichtung und die Zeit, die ich geopfert hatte.
Der letzte Tag im Nebenjob ist weniger freudig aber verlaeuft so sehr nach Standart, dass ich mich um ehrlich zu sein nicht mehr an Details erinnere. Ich haenge Klamotten auf, kassiere Kund*innen ab, vielleicht habe ich sogar die Schaufensterpuppe noch einmal neu in Schale geworfen. Ziemlich sicher versuche ich noch ein letztes Mal meine Position zu nutzen und schicke Freund*innen Bilder von Klamotten, welche ihnen gefallen koennten. Das Second-Hand-Shoppen ist wie nach Gold suchen und wenn man schon das Sieb in der Hand hat, dann kann man es wenigstens nutzen. Hier bin ich eher traurig als der nahestehende Kirchturm mir den Feierabend einlaeutet.
Eine Woche spaeter bin ich dann wirklich das allerletzte Mal im Laden. Ich werde herzlich von meinen Chefs verabschiedet, von beiden Seiten wird Dank und Verbundenheit ausgesprochen. Wenn ich von meinen Reisen zurueckkomme und einen Job wolle, muss ich mich laut der fast einen Kopf kleineren Dame mittleren Alters auf jeden Fall wieder melden. Ich bin geruehrt, freue mich ueber das Lob und das Angebot und die Waerme. Mich beschleicht das Gefuehl, nie wieder einen so guten Job unter so familiaeren Bedingungen zu finden...
Nun bin ich also frei von kapitalistischen Verpflichtungen - das erste Mal seit 7 Jahren habe ich keine Arbeitsstelle. Diese Statistik fuhelt sich aus der Sicht einer 23-Jaehrigen irgendwie falsch an. Fast ein Drittel meiner Lebenszeit hatte ich nach Schichtplaenen, Oeffnungszeiten, Kundenterminen und dem ewig scheinenden Durchhalten bis zum naechsten eingereichten Urlaub ausgerichet. Fuck. Eine krasse Feststellung. Aber auch eine Errungenschaft, die mir zeigt, dass ich teils unbequeme Dinge durchziehen kann. Nicht nur mein Ego, mein Konto bedankt sich ebenfalls: Ich fuehle mich finanziell bereit was meine anstehende Reise angeht. Nie hatte ich konkret auf ein solches Vorhaben hingespart oder besonders eingeschraenkt gelebt, doch die Summe, die sich am Ende angesammelt hatte, schrie foermlich danach endlich fuer Abenteuer und Traume benutzt zu werden. Wenn ich an die unwarscheinliche Moeglichkeit dachte, dass ich ploetzlich verungluecken koennte und ich all das Geld nie verleben koennen wuerde, wird mir fast schlecht vor Angst und Scham. Ich will nicht aus Gemuetlichkeit oder Unsicherheit zu lange meine Zeit vertroedelt haben, um mir etwas zu Ermoeglichen, dass mich schon seit Jahren zu sich rief. Es ist Zeit nun wirklich etwas von Bedeutung zu erleben, anstatt nur vor sich hin zu arbeiten mit dem Ziel Millionen anzuhaufen, die man dann zu geizig ist auszugeben.
Meine Wohung wird das letzte der 3 grossen Konstanten sein, von denen ich mich trenne. Nummer 1, meinen Job den ich von der Ausbildung ueber den Abschluss, durch verschiedene Bereiche des Unternehmens inklusive einem monatelangen unfallbedingten Ausfall bishin zur finalen Station in der fuer mich ertraeglichsten Abteilung der gesammten Zeit hatte, war zum Beginn des Sommers beendet. Verpflichtung Nummer 2, der Nebenjob im Thrift-Store, bei dem ich fast durch Schicksal vom Stammkunde zur Angestellten wurde, war dann wie die warmen Jahreszeit Anfang Oktober zu Ende.
Zwischendrin liegt der Fokus auf dem Theater, spontanen Trips, Festivals und Quality Time. Eine ganz, ganz andere Geschichte...





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