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#1 LOSLASSEN

  • carolinmichalk
  • Dec 10, 2023
  • 4 min read

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Ende Dezember 2021. Ich bin in meiner Wohnung, die erste eigene nach dem Auszug von daheim. Nach einigen Feierlichkeiten und Zeit mit der Familie ist es wieder ein bisschen ruhiger geworden, was zum nass-kalten Wetter draussen passt. Ich will etwas ausruhen bevor das neue Jahr anbricht. Doch heute werde ich nicht allein bleiben: Ich empfange einen guten, alten Freund; Wir kennen uns schon lang, doch dank dem Erwachsenwerden und der vom Geld verdienen, Abschluesse machen und Ueberleben in der richtigen Welt begrenzten Zeit hatten wir uns schon ewig nicht gesehen.


Unser letztes richtiges Gespraech war fast vor genau einem Jahr, auch um die Weihnachtszeit. Wir freuen uns ueber diesen moegloichen Beginn einer Tradition, doch ein paar Stunden into the conversation wird klar: Ich fuhel mich festgefahren. Mein Leben und ih drehen uns im Kreis. Keine Frage, es ist komfortabel und sicher, ich bin gesund, hab ein funktionierendes Umfeld und eine Beziehung. Trotzdem erfuellt es mich nicht ganz.


Es ist ein riesen Zwiespalt:

Finanziell bin ich versorgt. Ich liebe meinen Nebenjob im Second Hand Store. Es ist alles was ich mir von einem Angestelltenverhaeltnis wuenschen koennte. Mein Hauptjob ist in Ordnung, doch ich habe kein Interesse an Vollzeit, geschweigedenn einer Karriere dort.


Ich bin Teil vieler Freundeskreise, habe sogar immernoch Kontakt zu alten Schulkamerad*innen. Ich habe ueberall Freund*innen und Bekanntschaften, doch nur vereinzelt sind es wirklich enge Freundschaften. Einige scheinen nur Nebenprodukt von gemeinsamen Hobbies oder Kreisen zu sein. Klar, mit allen kann ich gute Zeiten, Spass und auch die ein oder anderen deepen Gespraeche haben, aber bis auf bei ein paar Menschen bekomme ich das Gefuehl nicht los fehl am Platz zu sein. Ich fuhle mich oft prinzipiell willkommen, aber nicht wirklich wertgeschaetzt.


Mit der Familie ist alles gut, oberflaechlich betrachtet. Und dabei bleibt es meist auch.

Meine Mietswohnung ist das Beste, was ich haette tun koennen. Alles was ich gerne mache ist hier vereint: meine Fotostudio, die selbst ausgestattete Kueche, Bastel- und Malsachen, meine Pole-Stange und Yogamatte, mehr als genug Platz fuer Gaeste und das alles in der fuer mich persoenlich besten Lage der Stadt. Von jeder Person, die mich besucht hoere ich wie toll meine Bude doch sei. Und ich weis es auch - trotzdem nutze ich sie nicht voll aus. Die Male an denen ich mein Backdrop und die Softboxen verwendet habe lassen sich an 2 Haenden abzaehen. Bis auf seltene Experimente koche ich nur eine Rotation meiner Comfort-Foods, Kreativprojekte fangen ich euphorisch an, genauso wie Trainingsplaene...doch Durchziehen faellt schwer, genauso wie Orndung halten.


Zusammengefasst fuehlt sich mein Leben an wie unausgeschoepftes Potential. Viele dieser Gedanken teile ich mit meinem Homie und wir reflektieren. Er scheint Gedanken zu einer Loesung zu haben und macht Einschaetzungen, die mir im Gedaechtnis bleiben und mich bestaetigen.


Ja, ich will und sollte hier raus. Ja, es ist Zeit. Ja, ich muss es endlich einfach anpacken.


Ich nehme alle Erkenntnisse an und mache die Planung zur Besserung meiner Situation mit dem neu gewonnenen Schwung durch den Zuspruch und das Gefuehl verstanden zu werden ab dem Zeitounkt zur Prioritaet. Es ist klar, Ich will in die Welt hinaus. Zwar hatte ich schon zuvor vereinzelt mit dem Gedanken gespielt, wieder zu reisen, doch es schien mir nie die passende Zeit zu sein. Ich hatte abgewartet, bis sich der perfekte Zeitpunkt von selbst auftun wuerde anstatt dafuer zu sorgen, dass es losgeht. Ich hatte es von hundert externen Dingen abheangig gemacht, wann und wie es so weit sein sollte, ohne dabei auf den Inneren Ruf nach Abenteuer zu hoeren.


Daraufhin begebe ich mich also in die Planung. Als allererstes zieren nur die Hauptfragen mein Blatt: Wohin? Wann? Wie lange?


Wohin ist eigentlich keine Frage fuer mich. Schon seit meinem ersten Besuch in Australien weiss ich, dass ich zuruckkehren werde. Gluecklicherweise bin ich noch immer in Kontakt mit einem Freund von dort, der es fast als selbstverstaendlichkeit ansieht, dass er meine erste Anlaufstelle vor Ort wird.


Wann wird relativ schnell klar. Die einzigen reellen Verpflichtungen die ich habe sind die Proben fuers Theater ab Januar und die Auffuehrungen im Sommer. Ausserdem das Festival im August, bei dem ich mitorganisiere. Abgesehen davon bin ich frei, denn ich realisiere langsam, dass selbst jahrelange Jobs und Mietvertraege auch innerhalb eines Schreibens gekuendigt werden koennen.


Die Antwort zur Zeitspanne erweist sich als die schwierigste. Ich schwanke zwischen einem sehr, sehr langen Urlaub, 6 Monaten oder dem Buchen eines One-Way-Tickets mit der groben Vorstellung von einem Jahr. Alles hat Vor- und Nachteile: je kuerzer der Trip desto besser kann ich meine Comfort-Zone in Deutschland aufrecht erhalten. Die Wohnung einfach ungenutzt einige Monate weiterzahlen und unbezahlten Urlaub nehmen und damit das beruhigende Gefuehl haben koennen, dass alles so sein wird wie davor, wenn ich zurueckkomme. Aber Moment mal. Ich ertappe mich selbst bei dem Versuch an allem in meinem Leben festzuhalten. Die Frage nach dem Warum gesellt sich mit in meinen Kopf. Warum will ich an dem festhalten, was der Grund fuer den Drang zu gehen ist. Ich rufe mir die Einsichten von der ausschlaggebenden Konversation vor einigen Wochen ins Gedaechtnis und buche an einem stinknormalen Abend allein daheim mit dem Mindset "Fuck it" meinen Hinflug. Mehr nicht.

Ich entscheide mich also fuer Anfang Oktober, um gerade rechtzetig dem schlechten Wetter in Deutschland zu entfliehen. Erstes Ziel wird der Wohnort meines Kumpels down under: Townsville, ein recht unspektakulaerer, mittelgrosser Ort an der nordlichen Ostkueste.


Der ausgehende, vierstellige Betrag von meinem Konto an die Fluggesellschafft macht es real. Ich fuehle mich wie befreit, fast so als haette ich nach monatelangem, anstrengendem Training nun endlich den Startschuss gehoert und koennte einfach nur losrennen, erloest von Anspannung und dem rasenden Kopf voller Aengste und Ausreden. Ich sage meinem australischen Kumpel Bescheid, wir teilen die Freude und zaehlen ab diesem Tag die Tage bis zu unserer Reunion. Ueber alles Oranisatorische, das Beantragen vom Visum, Kuendigungen und Behoerdenganege, mache ich mir in diesem Moment noch keine Sorgen, der lange Countdown gestattet mir meine geliebte Prokrastination.


Doch heute realisiere ich, dass ich in dem Moment genau das Gegenteil gemacht hatte: Ich hatte aufgehoert aufzuschieben. Ich habe das prokrastinieren der wohl groesten und wichtigsten Entscheidung meines Lebens beendet. Nun war es kein Aufschieben mehr, es war das bewaehrte Vorgehen "Eins nach dem Anderen".


2 Jahre spaeter denke ich immernoch ab und zu an das Gespraech zurueck, das alles ins Rollen brachte. Ich verdanke meinem alten Freund nicht die Idee zu dem Vorhaben, aber den Mut und die Ueberzeugung, es endlich anzugehen.

Ich glaube, dieses Weihnachten ruf ich ihn mal an.

 
 
 

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